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Bilanzpolitik – und deren Grenzen



Der nachfolgende Beitrag fasst Ausführungen zur rechnungslegungsspezifischen Fragestellung einer legalen Bilanzpolitik zusammen (vgl. Hirschler, RWZ 7-8/2021, S. 209ff):

Bilanzpolitik (Jahresabschlusspolitik) ist die willentliche und hinsichtlich der Unternehmensziele zweckorientierte Einflussnahme auf Form, Inhalt und Darstellung des unternehmensrechtlichen Jahres- und Konzernabschlusses im Rahmen der durch das österreichische Unternehmensgesetzbuch (= öUGB) bzw. durch andere Rechtsordnungen (zB IFRS) gezogenen Grenzen.

vgl. Hirschler, RWZ 7-8/2021, S. 209

In der Regel werden zwei Ziele verfolgt:

  • Finanzpolitische Ziele: Erhaltung der Steigerung der Ertragskraft des Unternehmens bzw. die Erhaltung oder Steigerung der Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten
  • Informationspolitische Ziele: Informationsvermeidung und Informationsgestaltung (aktive/offensive versus passive/defensive Publizitätspolitik)

Instrumente der Bilanzpolitik

Zur Erreichung der vorgegebenen Ziele stehen in der Regel zwei Instrumente zur Verfügung:

  • reale Bilanzpolitik (Sachverhaltsgestaltung)
  • buchmäßige Bilanzpolitik (Sachverhaltsabbildung)

Unter realer Bilanzpolitik versteht man alle Handlungen, die noch vor dem Abschlussstichtag stattfinden (Sachverhaltsgestaltung), und zwar durch zeitliche Verschiebung von Geschäftsvorfällen (vor oder nach den Abschlussstichtag), die sowieso stattgefunden hätten. Mittels dieser Verschiebetechnik kann gezielt auf die Vermögens- und Kapitalstruktur Einfluss genommen werden und Aufwendungen und Erträge können realisiert oder vermieden werden (imparitätisches Realisationsprinzip). Mögliche Sachverhaltsgestaltung nach öUGB können sein:

  • zeitliche Verschiebung von Aufwendungen wie Reparaturen und Fortbildungsmaßnahmen, oder von Erträgen, wie Verkauf von Vermögensgegenständen,
  • Teilgewinnrealisierung bei langfristigen Aufträgen
  • Verschiebung von Lieferung- und Zahlungsterminen,
  • Vorziehen oder Verschieben von geplanten Investitionen oder Veräußerungen.
  • Auslagerung der Forschungs- und Entwicklungsabteilung zur Umgehung des Aktivierungsverbots selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände,
  • Veränderungen des rechtlichen Aufbaus des Unternehmens durch Umgründungen, Umstrukturierungen und sonstige Veränderung der Konzernstruktur,
  • Forderungsverkauf (Factoring),
  • Leasing anstatt Kauf,
  • Sale and Lease Back, Asset-Backed-Securities-Transaktionen,
  • Änderung des Abschlussstichtag,
  • Tilgung von Bankkrediten vor dem Abschlussstichtag, um diese danach wieder aufzunehmen,
  • Gestaltung von Pensionsgeschäften,
  • Verkauf von Vermögensgegenständen des Anlage- und Umlaufvermögens im Konzernverbund,
  • Gewährung von Gesellschafterzuschüssen und diese nach dem Abschlussstichtag wieder rückgängig zu machen.

Die buchmäßige Bilanzpolitik betrifft die Abbildung bereits erfolgter Geschäftsfelder im Jahresabschluss, und zwar hinsichtlich der materiellen bzw. formellen Darstellung.

Die materielle Bilanzpolitik umfasst im UGB Bilanzansatzwahlrechte, wie beispielsweise

  • Aktivierungswahlrecht Umgründungsmehrwert bei Buchwert Umgründungen,
  • aktive latente Steuer bei kleiner Kapitalgesellschaft,
  • unwesentliche Rückstellungen,

Materielle Bewertungswahlrechte sind beispielsweise die

  • Abschreibung von Finanzanlagevermögen auf den niedrigeren beizulegen Wert bei nicht dauerhafter Wertminderung oder
  • Bewertungswahlrechte von Einlagen im Falle von Umgründungen sowie
  • Ermessensspielräume, diese ermöglichen dem Bilanzierenden mehrere zulässige (plausibel begründete sowie vernünftig unternehmerisch beurteilte) Wertansätze, wie
    • Schätzung der Nutzungsdauer von abnutzbaren Anlagevermögen,
    • Bestimmung der Abschreibungsmethode (linear, degressiv etc.),
    • Schätzung des voraussichtlich einbringlichen Teils bei der Bildung von Pauschalwertberichtigungen bzw. pauschalen Einzelwertberichtigungen,
    • Wahl des anzuwendenden Zinssatzes bei den Personalrückstellungen und sonstigen langfristigen Rückstellungen.

Unter formeller Bilanzpolitik versteht man den Ausweis der Geschäftsfälle in der Bilanz und Gewinn und Verlustrechnung als auch die Darstellung und Erweiterung im Anhang bzw. Lagebericht.

Grenzen der Bilanzpolitik

Bilanzpolitik ist eine Form der legalen Gestaltung der Aussage von Jahresabschlüssen. Jedoch müssen folgende Grenzen – bei der Nutzung der legalen möglichen Wahlrechte – beachtet werden:

  • Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung unspezifische Rechnungslegungsvorschriften: der Grundsatz der wirtschaftlichen Beträge Betrachtungsweise des Paragraf 196 A GP ist zu beachten. Daher sind vor allem kurzfristige, und um den Bilanzstichtag liegende Sachverhaltsgestaltungen, die vielfach wieder nach dem Stichtag rückgängig gemacht und somit nur vorübergehende Gestaltungen (sogenanntes „Windows-Dressing“) sind dahingehend zu würdigen, ob die mit diesen Maßnahmen verfolgten Ziele in wirtschaftlicher Betrachtungsweise überhaupt finanzierbar sind. Wesentlich dabei ist die Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums im Zusammenhang mit kurzfristigen, nach dem Abschlussstichtag rückgängig machbaren Sachverhalten.
  • Für Ansatz und Bewertungswahlrechte gilt der Grundsatz der Stetigkeit (§ 201 Abs. 2 Z 1 UGB), sodass einmal getroffene bilanzpolitische Entscheidungen im Zusammenhang mit der Sachverhaltsabbildung daher stetig auszuüben sind. Willkürliche Wechsel der Wahlrechte sind unzulässig. Vergleichbare Grenzen bestehen im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen, wie der Bestimmung der Abschreibungsmethode, der Nutzungsdauer, der Bestimmung des Abzinsungssatzes bei langfristigen Rückstellungen usw.; soweit die Sachverhalte vergleichbar sind, sind Ermessensentscheidungen gleichartig auszuüben.
  • Daneben ist auch der Grundsatz des true and fair view im Zusammenhang mit der Bilanzpolitik wesentlich. Die Bestimmung des § 222 Abs. 2 Satz zwei UGB ist zu beachten, wonach besondere Anhangangaben erforderlich sind, wenn die Vermittlung des true and fair view aus besonderen Umständen nicht gelingt. Zu diesen besonderen Umständen, für die jedenfalls auch der Grundsatz der Wesentlichkeit gilt, zählen nach ganz herrschender Ansicht auch bilanzpolitische Maßnahmen wie
    • erhebliche Differenzen zwischen gewählten und anderen zulässigen Wertansätzen,
    • umfangreiche Leasingfinanzierungen und Sale-and-Lease-back-Transaktionen sowie
    • in bestimmten Fällen auch Treuhandvereinbarungen, Kommissionen und Pensionsgeschäften sowie Factoring,
    • wesentliche Transaktionen wie Betriebsum- oder -einstellungen, Umstrukturierungen sowie Umgründungen,
    • Ergebnisverzerrungen aufgrund mehrjähriger Aufträge oder saisonale Schwankungen.

Solange das vorsätzliche, willentliche Verhalten sich im Rahmen der UGB und sonstigen (Bilanz-) rechtlichen Rahmenbedingungen bewegt, ist die bilanzrechtliche Abbildung strafrechtlich nicht zu beanstanden. Wird hingegen eine im Sinne des § 189a Z 10 UGB wesentliche Information in unvertretbarer Weise falsch oder unvollständig dargestellt (unabhängig davon, ob es sich im vorliegenden Zusammenhang um eine sachverhaltsgestaltende oder sachverhaltsabbildende Maßnahme handelt) ist man im Dunstkreis des § 163a StGB. Unvertretbar wird die falsche oder unvollständige Darstellung immer dann sein, wenn kein verständiger Dritter diese Darstellung als im Einklang mit den Rechnungslegungsvorschriften ansieht. Liegt jedoch eine umstrittene Frage der Rechnungslegung vor, wird keine Unvertretbarkeit bestehen, sofern für die Auslegung entsprechende Sorgfalt angewandt wurde.

Ergänzend muss diese wesentliche Information, die unvertretbarer Weise falsch bzw. unvollständig dargestellt wird, auch einen erheblichen Schaden für eines der durch § 163a StGB geschützten Rechtssubjekte bewirken können, wobei Strafbarkeit ohne Vorliegen eines konkreten Schadens gegeben ist. Der erhebliche Schaden ist gesetzlich nicht definiert, eine gewisse vertragliche Höhe wird jedoch vorausgesetzt, weswegen diese Grenze über der Wertgrenze von € 5000 für Vermögensschäden liegen wird (vergleiche § 153 Abs. 3 StGB; Kert in Artmann/Karollus, AktG III 6. Aufl., § 163a StGB, Rz 51).