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Wesentlichkeit bei der Aufstellung von UGB-Abschlüssen



Mit BGBl I 46/2019 vom 28.5.2019 wurde § 196a Abs. 2 UGB aufgehoben. Das bedeutet, dass der Wesentlichkeitsgrundsatz in Zukunft im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation ( Art. 6 Abs. 1 lit. j der Bilanz-Richtlinie) bei den einzelnen Bestimmungen mitzubedenken ist. Die genauere Anwendung kann laut Gesetzgeber den Standardsetzern überlassen werden. Im September 2019 hat das Austrian Financial Reporting and Auditing Committee (AFRAC) mit Stellungnahme 34 die Auslegung der Wesentlichkeit dargelegt, welche ab Geschäftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31. Dezember 2018 beginnen.

Auf Basis der Bilanz-Richtlinie ist für nach dem UGB (Unternehmensgesetzbuch) aufgestellte Abschlüsse der Grundsatz der Wesentlichkeit auf

  • Ansatz,
  • Bewertung,
  • Darstellung,
  • Offenlegung sowie
  • Konsolidierung

anzuwenden. Dies stellt auch den Anwendungsbereich der Stellungnahme AFRAC 34 (September 2019), Rz 33 dar.

Gemäß § 190 Abs. 3 UGB sind die Eintragungen in Büchern und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Die AFRAC-Stellungnahme befasst sich daher nicht mit der Buchführung, sondern ist ausschließlich auf Abschlüsse (§§ 193 bis 211, 221 bis 242 und 244 bis 266 UGB) anzuwenden (AFRAC 34 (September 2019), Rz 9).

Was bedeutet nun „wesentlich“? Abstrakt definiert der Gesetzgeber die Wesentlichkeit als Status von Informationen, anhand derer vernünftigerweise zu erwarten ist, dass ihre Auslassung oder fehlerhafte Angabe Entscheidungen beeinflusst, die Nutzer auf der Grundlage des Jahres- oder Konzernabschlusses treffen. Die Wesentlichkeit ist von der Größe oder der spezifischen Eigenschaft des Postens oder der Fehlerhaftigkeit der Angabe abhängig. Selbst wenn ein einzelner Posten für sich genommen als unwesentlich angesehen werden kann, können mehrere unwesentliche gleichartige Posten zusammen als wesentlich gelten (AFRAC 34 (September 2019), Rz 10).

Der Grundsatz der Wesentlichkeit steht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grundsatz der Vollständigkeit gemäß § 196 Abs. 1 UGB: Unter Berücksichtigung dieser beiden Grundsätze muss der Abschluss vorbehaltlich gesetzlich bestimmter Ausnahmen sämtliche Vermögensgegenstände, Rückstellungen, Verbindlichkeiten, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge enthalten, soweit vernünftigerweise zu erwarten ist, dass ihre Auslassung oder fehlerhafte Angabe Entscheidungen beeinflusst, die Nutzer auf der Grundlage des Abschlusses treffen. Die Einschränkung des Grundsatzes der Vollständigkeit durch den Grundsatz der Wesentlichkeit ist eng auszulegen und stellt keine Ermächtigung dar, Angaben bewusst unrichtig zu machen (AFRAC 34 (September 2019), Rz 12).

Quantitative Beurteilung der Wesentlichkeit

Es ist auf eine angemessene, begründete Auswahl der Bezugsgrößen zu achten. Als Bezugsgrößen kommen – unter Umständen um außerordentliche Effekte bereinigte – folgende Parameter in Frage:

  • Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag und ähnliche Ergebnisgrößen
  • Bilanzsumme
  • Geeignete Bilanzposten (im Einzelfall): zB das Eigenkapital
  • Geeignete Posten der Gewinn- und Verlustrechnung: zB Umsatz oder Summe der Aufwendungen

Qualitative Beurteilung der Wesentlichkeit

Neben den quantitativen Aspekten ist entsprechend dem Zweck auch eine qualitative Beurteilung der jeweiligen Bestimmung vorzunehmen. Auch (geringe) Beträge oder Informationen, die bei einer quantitativen Beurteilung als unwesentlich beurteilt wurden, können sich als Ergebnis einer qualitativen Beurteilung als wesentlich aus Sicht des Nutzers erweisen, z.B. weil die Erfüllung oder Nichterfüllung wichtiger unternehmerischer Zielgrößen oder (zusätzliche) Information zu bedeutenden Sachverhalten mit der Angabe dieser Beträge verbunden ist (vgl. AFRAC 34 (September 2019), Rz 27f).

Beispielhaft können folgende qualitative Aspekte hinsichtlich wichtiger unternehmerischer Zielgrößen genannt werden (AFRAC 34 (September 2019), Rz 29):

  • anstelle eines Gewinnes ein Verlust auszuweisen ist oder umgekehrt;
  • bestimmte Trends oder eine Trendumkehr sichtbar werden;
  • Budgetvorgaben oder übereinstimmende Analystenerwartungen gerade (oder gerade nicht mehr) erfüllt werden; 
  • Zielvorgaben zur Gewährung von Tantiemen, Boni oder anderen Vorteilen für das Management gerade (oder gerade nicht mehr) erreicht werden; 
  • gesetzliche und/oder regulatorische Anforderungen gerade (oder gerade nicht mehr) erfüllt werden; und 
  • bestimmte, für Finanzierungsentscheidungen relevante Kenngrößen (Covenants) gerade (oder gerade nicht mehr) eingehalten werden.

Informationen mit besonders hohem Stellenwert können aus qualitativer Sicht unter anderem folgende Aspekte zählen:

  • Angaben zu ungewöhnlichen oder nicht wiederkehrenden Transaktionen
  • Angaben zu Unternehmensbereichen oder Segmenten, die für die zukünftigen Geschäftsaktivitäten des Unternehmens von besonderer Bedeutung sind, auch wenn ihre quantitativen Auswirkungen auf den Abschluss aktuell noch gering sind; und
  • Angaben, die im Zusammenhang mit der Governance eines Unternehmens stehen (zB an Organe gewährte Vorschüsse und Kredite, Beziehungen zu verbundenen Unternehmen, Aufwendungen für den Abschlussprüfer etc.).

Anwendungsbereich der Wesentlichkeit

Der Anwendungsbereich umfasst sowohl den Einzelabschluss als auch den Konzernabschluss (AFRAC 34 (September 2019), Rz 40f).

In Bezug auf Ansatz und Bewertung ist der Grundsatz der Wesentlichkeit (AFRAC 34 (September 2019) Rz 35) insbesondere bei folgenden gesetzlichen Bestimmungen mitzubedenken (Anmerkung: davon unberührt bleiben Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte und Vereinfachungen):

  • Ansatz (oder Nichtansatz) von Rückstellungen;
  • latente Steuern;
  • Haftungsverhältnisse;
  • Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden; 
  • Bewertung von Einlagen und Zuwendungen sowie Entnahmen;
  • Umgründungsmehrwert;
  • Anschaffungs- und Herstellungskosten;
  • Abschreibungen im Anlagevermögen;
  • Wertansätze für Gegenstände des Umlaufvermögens;
  • Abschreibungen auf Gegenstände des Umlaufvermögens;
  • Wertaufholung;
  • Wertansätze von Passivposten; und
  • Bestandsveränderungen.

Die Anwendung des Wesentlichkeitsgrundsatzes auf die Darstellung bedeutet die Möglichkeit der Weglassung unwesentlicher Informationen mittels Zusammenfassung (Aggregierung) oder Unterlassung einer Aufgliederung oder sonstiger Informationen wie Erläuterungen im Anhang sein. Der Grundsatz der Wesentlichkeit ist insbesondere bei folgenden gesetzlichen Bestimmungen mitzubedenken (AFRAC 34 (September 2019), Rz 38):

  • Inhalt der Bilanz;
  • Haftungsverhältnisse;
  • Inhalt der Gewinn- und Verlustrechnung;
  • Umgründungsmehrwert;
  • Gliederung der Bilanz; und
  • Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung.

Auch betreffend den Anhang ist der Wesentlichkeitsgrundsatzes anwendbar – eine Einschränkung ist nicht vorgesehen (AFRAC 34 (September 2019), Rz 39).