Der OGH setzte sich in seiner Entscheidung vom 25.6.2020, 6 Ob 72/20m mit einer Rückstellung für drohende Prozesskosten auseinander.
Künftige Prozesskosten seien als ungewisse Verbindlichkeiten anzusehen. Sei eine Verbindlichkeit dem Grunde nach ungewiss, dürfe eine Rückstellung nur gebildet werden, wenn mit dem Be- oder Entstehen der Verbindlichkeit ernsthaft gerechnet werden muss. Besteht Ungewissheit über eine bereits fällige Verbindlichkeit, ist weitere Voraussetzung, dass mit der Inanspruchnahme ernsthaft gerechnet werden muss. Was den Zeitpunkt der Passivierung betrifft, so ist für ungewisse Verbindlichkeiten dann mittels Rückstellung vorzusorgen, wenn diese zum Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht, insbesondere rechtlich entstanden sind. Zum Bilanzstichtag müssen die wesentlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen und das rechtliche Entstehen bloß noch von wirtschaftlich unbedeutenden Tatbestandsmerkmalen abhängen (vgl. Nowotny: iwp- journal 1/2021, S. 46).
Der OGH checkt neben der deutschen Judikatur des BFH auch die Lehre und Rechtsprechung zu § 5 Abs. 1 öEStG und kommt zum Ergebnis, dass die steuerlichen Vorschriften für Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 9 Abs. 1 Z 1 bis 4 und Abs. 3 EStG) keine zu § 198 Abs. 8 UGB abweichenden Regelungen treffen.
Nach der Rechtsprechung des VwGH könne eine Rückstellung für Prozesskosten auch nur dotiert werden, wenn am Bilanzstichtag ein Prozess bereits läuft und ernsthaft damit zu rechnen ist, dass dem Steuerpflichtigen durch den Ausgang des Prozesses besondere Aufwendungen erwachsen.
Der OGH fasst folgenden Leitsatz zusammen:
„Künftige Prozesskosten für ein am Bilanzstichtag noch nicht anhängiges Verfahren können grundsätzlich nicht rückgestellt werden, weil die Pflicht zur Kostentragung – mangels entsprechenden Kostenanspruchs – noch nicht rechtlich entstanden und ihr (künftiges) Entstehen nicht im abgelaufenen Geschäftsjahr wirtschaftlich verursacht ist (BFH I B 3/15 ua), setzt doch eine wirtschaftliche Verursachung voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das zivilrechtliche Entstehen der Schuld nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Wesentliches Tatbestandsmerkmal für das Entstehen von Prozesskostenverpflichtungen für die erste Instanz ist, dass eine Klage (des Unternehmens oder des Prozessgegners) anhängig ist, und für die spätere Instanz, dass eine Partei ein Rechtsmittel erhoben hat. … Von einer wirtschaftlichen Erfüllung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale kann allerdings dann auszugehen sein, wenn sich unter Würdigung der Gesamtumstände die (spätere) Klageeinbringung oder die tatsächliche Erhebung des Rechtsmittels nur noch als selbstverständliche und daher rein formale Handlung darstellt. … Das ist bei einem Rechtsmittelverfahren nicht der Fall, solange die das anhängige Verfahren in der Instanz abschließende Entscheidung noch nicht ergangen ist. Liegt sie aber zum Bilanzstichtag vor, dann kann die tatsächliche Rechtsmitteleinlegung als sogenannter werterhellender Faktor berücksichtigt werden.“
Nowotny weist darauf hin, dass in der Praxis häufig vor Einbringung der Klage ein Entwurf der Gegenseite übersandt wird, um die Ernsthaftigkeit zu untermauern. Liege dieser bereits am Abschlussstichtag vor, so wird in der Regel die tatsächliche Einbringung nur mehr ein formaler Schritt anzusehen sein (vgl. Nowotny: iwp Journal 1/2021, S. 47).